Freitag, 18. November 2016

Warum so böse? – von Intoleranz und Verurteilung

Wenn wir Reiter nicht gerade im Stall am Lästern sind, dann tummeln wir uns im Internet. In Foren, in Facebook, in Gruppen mit Menschen, von denen man annehmen dürfte, sie hätten alle etwas gemeinsam – die Leidenschaft zum Pferd.
Geschützt durch die Anonymität, die uns das Internet bietet, sprechen wir uns nicht nur für einen fairen und respektvollen Umgang mit dem Tier aus, sondern gehen hart, ungerecht und intolerant mit jenen um, die nicht unserem Geschmack entsprechen.
Wir betreiben moderne Hexenjagd.

Alles beginnt mit einem Menschen.

Stein des Anstosses ist nicht etwa Tierquälerei, das kann schon weitaus weniger sein – ein Bild, ein Video oder auch nur eine Äusserung. Eine Momentaufnahme, in der für den Reiter etwas nicht optimal läuft, die Harmonie fehlt oder der Gesamteindruck nicht Wendy-tauglich ist. Der Mensch handelt menschlich – nicht perfekt, nicht nach unserem Geschmack, vielleicht auch nicht richtig.
Was mit einer persönlichen Einschätzung und scheuen Kommentaren beginnt, wird schnell zur Empörung, zum Urteil. Steigert sich zur Verurteilung und hat die sachliche Ebene längst hinter sich gelassen. Das Ganze ist jetzt persönlich, verletzend, beleidigend und erniedrigend. Es geht nicht länger um einen Moment, um einen Fehler, Missfallen, Meinungsverschiedenheiten oder Menschlichkeit, es geht viel tiefer – darum, was das für ein Mensch sein muss, dem so etwas passiert, der so etwas macht.
Die selben Menschen, die sich zuvor noch für einen respektvollen, von Verständnis geprägten Umgang mit dem Pferd ausgesprochen haben, werfen diese Werte über Bord, wenn es um den Menschen geht.

Ich rede hier nicht von einem Menschen, der sein Tier misshandelt, schlägt oder quält. Ich rede von einem normalen Menschen, der auf seine Art bemüht ist. Dabei vielleicht anders vorgeht als wir es würden, oder dem ein Fehler unterläuft. Der gerade, gemeinsam mit seinem Pferd, in der Etwickkung steckt oder oder oder. 

Es wird sich auf das Negative gestürzt. Zerrupft, zu Tode analysiert und hart VERurteilt. Ohne den Menschen dahinter zu kennen. Es genügt nicht, zur Kenntnis zu nehmen, seine Kritik oder Anregung sachlich vorzubringen und sich dem zu widmen, wie man daraus lernen könnte.  Der Mensch wird an den Pranger gestellt. Es wird unterstellt und interpretiert, wo nichts zu interpretieren ist. Kaum ein Kommentar kommt ohne eine persönliche Kränkung aus. Sollte der Protagonist anwesend sein und auf die Idee kommen, sich zu rechtfertigen, wird im gern jedes Wort im Munde umgedreht.

Es scheint offensichtlich zu sein, dass bspw. ein Sportler sein Tier gar nicht lieben kann. Es ist nur Mittel zum Zweck. Sportgerät. Wer Sportler ist, kann also gar kein guter Mensch sein. Reitet automatisch Rollkur und scheut keine Mittel, um seinen Erfolg zu erreichen.
Selbiges gilt für Boxenpferde-Besitzer, Gebiss-Reiter und viele weitere Beispiele.

Mich stört an diesem „Shitstorm“ vieles.

Vorweg die Selbstgerechtigkeit, mit der wir uns auf die Fehler anderer stürzen. „Wäre ich an dieser Stelle, würde ich NIE…“ Diesen Satz lese ich besonders gerne. Folgt man dem Sportler-Beispiel bleibt zu fragen, ob der Redenschwinger denn jemals in dieser Situation war, dass er so sicher gehen kann, diesen Fehler nicht zu machen. 

Dazu gesellt sich, dass es unentwegt persönlich wird. Es wird nicht die Situation beurteilt und diskutiert, sondern der Mensch. Ohne dabei an Respekt und Verständnis zu denken.

Dazu kommt, dass sich der Angeprangerte häufig gar nicht zu Wort melden kann, da die Debatte über und nicht mir ihm geführt wird. Es werden externe Videos in Gruppen zur Diskussion gestellt, ohne dem unfreiwilligen Protagonisten die Möglichkeit zu geben, sich an der Diskussion zu beteiligen.
Stellt euch doch einmal vor, ihr stündet auf der anderen Seite. Euer Fehler ist euch bewusst. Er war ein Ergebnis eines Momentes und Menschlichkeit. Doch ihr könnt ihn nun nicht mehr rückgängig machen. Es war vielleicht auch gar kein Fehler. Ihr seid vielleicht noch dabei, zu lernen und wolltet euch über einen Teilerfolg freuen. Wie würdet ihr euch fühlen, wenn ihr wegen einer Momentaufnahme verurteilt werdet?

Der Mensch ist weitaus mehr, als die Summe seiner Fehler.

Ich frage mich also, wieso wir unsere Energie darauf verwenden, andere Menschen persönlich zu attackieren.
Es mag durchaus Diskussionen geben, in denen es ganz klar darum geht, die Menschen auf Missstände aufmerksam zu machen, diese Art von persönlicher Hexenjagd tut das aber nicht.
Liegt es daran, dass wir unsere eigenen Fehler gar nicht wahrnehmen? Gibt es uns einfach nur ein gutes Gefühl, andere klein zu machen? Oder liegt es schlicht und einfach daran, dass wir noch nicht der Internetgemeinde zum Frass vorgeworfen wurden? 
Oder ist es blinder Aktionismus? Wo sind all diese Menschen nur in der echten Welt? Stellt euch einmal vor, was zu erreichen wäre, wenn die Menschen die gleiche Energie dafür aufbringen würden, reale Missstände zu verbessern, mit der sie sich in virtuelle Debatten stürzen. Nur ist es wesentlich einfacher jemanden in einem Facebook-Kommentar zu verurteilen als sich der echten Welt zu stellen und man kann sich da auch so schön reinsteigern.

Eine Bekannte sagte mir einst: „Choose your fights.“ Und genau das sollten wir tun. Unsere Energie auf Dinge verwenden, die wir ändern können. Bei denen wir etwas zum Positiven bewegen können. Wir sollten uns wieder viel mehr auf das Positive konzentrieren und versuchen etwas Besseres zu erreichen.
Fehler haben wir alle schon gemacht und wir werden auch noch viele machen. Das ist menschlich. 

Wenn wir uns das nächste Mal in einer dieser Diskussionen wiederfinden, sollten wir uns an ein paar Regeln halten:

  • Wir können eine Situation immer nur subjektiv bewerten, weil wir die Hintergründe nicht kennen. Unsere Wahrheit ist nicht die eine Wahrheit.
  • Wir sollten nur für uns sprechen und nicht verallgemeinern.
  • Unser Ziel sollte nicht sein, unsere Aggression abzureagieren, sondern konstruktiv zu bleiben.
  • Es steht uns nicht zu, auf Grund eines Bildes oder einer kurzen Videosequenz einen Menschen zu verurteilen.
  • Versetzen wir uns beim Schreiben doch kurz in den Empfänger unserer Nachricht. Wer weiss, ob wir nicht irgendwann selbst auf der anderen Seite stehen.
  • Wer ein Mensch ist, zeigt sich nicht in einer Situation. 

Der respektvolle Umgang und die Toleranz sollte nicht beim Pferd enden. Denn um die Pferde geht es uns doch. Wollen wir wirklich etwas erreichen, sollten wir einander helfen besser zu werden und unsere Zeit nicht darauf verwenden, andere zu verletzten und zu verurteilen.

Während wir damit beschäftigt sind, eine Lappalie zur Tierquälerei aufzubauschen, dauern echte Missstände weiter an.

Mehr zum Thema:
Blöde Kommentare auf Facebook von a life with horses.

7 Kommentare:

  1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

    AntwortenLöschen
  2. Super Text! Den müsste man unter jedem blöden Kommentar verlinken:)

    AntwortenLöschen
  3. Klasse Text. Du sprichst mir aus der Seele..

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke :) Schön zu wissen, dass noch andere so denken.

      Löschen
  4. Ich habe diesen Text gleich in einer Offenstallgruppe gepostet - du hast mir aus der Seele gesprochen.Es gibt ja diesen schönen Satz : Wer ohne Schuld ist , werfe den ersten Stein.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Vielen Dank. Ja, an den Spruch musste ich auch schon bei so manchen Diskussionen denken. Es wäre gleich so viel harmonischer, wenn man das im Hinterkopf behalten würde.

      Löschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.